Ein Selbstmordversuch machte Gastautor Uwe Hauck bewusst, dass er dringend Hilfe braucht. Er leidet an schweren Depressionen. In einer Klinik lernte er, die Krankheit zu akzeptieren und das Weiterleben mit ihr zu lernen.

Ich habe Depressionen. Ein Fakt, zu dem ich heute offen stehe. Aber bis dahin war es ein langer Weg, an dessen Beginn beinahe mein Tod stand. Vielleicht war es das Glück, überlebt zu haben, vielleicht blanker Fatalismus angesichts geschlossener und offener Psychiatrie über einen Zeitraum von knapp einem halben Jahr. Danach habe ich die Depression als Teil von mir, als meinen dunklen Begleiter akzeptiert. Denn das ist es, was viele Außenstehende nicht verstehen. Eine Depression ist keine Charakterschwäche oder ein kurzes Stimmungstief. Eine Depression ist eine behandelbare Krankheit. Nur ist die Behandlung weitaus langwieriger, als sich das viele vorstellen können. Manchmal dauert sie ein Leben lang.

Man fühlt gar nichts

Wenn ich in einer depressiven Phase bin, fühlt sich alles Gute, Schöne, Positive so vergänglich an wie durch ein Sieb rieselnder Sand. Man ist nicht traurig, man ist eigentlich gar nichts. Nahezu jedes Gefühl verschwindet. Eventuell empfindet man Angst, weil der Verstand einem sagt, so kann, so darf es nicht weitergehen.

Jener Einschnitt vor zwei Jahren, als ich mir das Leben nehmen wollte, hat bei mir die Erkenntnis ausgelöst, dass ich Hilfe brauche. Diese Erkenntnis war so erschütternd, dass ich mich in eine psychiatrische Klinik einweisen ließ. Sicher wird der eine oder andere nun an Szenen aus „Einer flog übers Kuckucksnest“ denken. Doch die moderne Psychiatrie hat damit kaum mehr etwas zu tun.

In der psychiatrischen Klinik

Maltherapie, Bewegungstherapie, Gespräche mit Therapeuten und Mitpatienten, man begibt sich auf die Suche nach den Ursachen, nach den Verhaltensmustern, die irgendwann einmal gut waren, jetzt aber das Leben stören. Und was ich während der Klinikaufenthalte gelernt habe, ist: Eigentlich sitzen in der Psychiatrie die normalen Menschen, die mit dem Wahnsinn da draußen nicht mehr zurechtkommen.

Ich habe empfindsame, intelligente, kreative Menschen kennengelernt, die es bis zur Perfektion gelernt haben, Masken zu tragen. Glücklicher Mensch, erfolgreicher Mensch, leistungsstarker Mensch. Alles Masken, die wir alle sehr begabt getragen haben, um unsere längst zerbrochene Seele nur ja niemandem zu zeigen.

Depressive Phasen abfangen

Ich brauchte vier Wochen in der ersten Klinik, um mir selbst die Krankheit Depression einzugestehen. Danach begann das Suchspiel: Wo stimmt etwas nicht? Was sind meine Fehlannahmen? Wie kann ich meine Krankheit in den Griff bekommen? Da meine Depression wiederkehrend ist, werde ich vermutlich den Rest meines Leben damit konfrontiert sein, depressive Episoden zu erleben. Aber ich kann sie jetzt abfangen, abschwächen.

Achtsamkeit, Bewegung, weniger Stress. Das sind meine Werkzeuge im Kampf gegen meine Erkrankung. Vielleicht ist es wirklich so, dass Depressionen heutzutage gleich häufig auftreten wie in früheren Zeiten. Aber mein Gefühl sagt mir, dass unser leistungsorientierter Lebensstil, der den Menschen durch Produktivität, Erfolg, immer höhere Geschwindigkeit definiert, Depressionen zumindest fördert.

Nicht jeder wird zum Amokläufer

Ich erwarte nicht, dass Personen, die nicht von Depressionen betroffen sind, das Thema zur Gänze verstehen. Aber es ist mir wichtig, dass Depressionen und andere psychische Erkrankungen in der Öffentlichkeit auch als Krankheit verstanden werden. Dazu gehört, nicht bei jedem Amoklauf gleich alle psychisch kranken Menschen unter Generalverdacht zu stellen. Das ist ein Grund, warum ich mit meiner Krankheit so sehr an die Öffentlichkeit gehe, warum ich Vorträge vor Schülern und anderen Interessierten halte und versuche, Mut zu machen, sich behandeln zu lassen.

Im Alltag verschwindet das Thema viel zu schnell und man muss als Betroffener sehr bald wieder Aussagen wie „Dir geht es doch gut!“ oder „Schau mal, was du alles hast!“ ertragen. Ein psychisch kranker Mensch ist so gut wie nie eine Gefahr für seine Umwelt, wenn überhaupt, dann für sich.

Der enge Zusammenhang zwischen Depression und Suizid spricht hier eine deutliche Sprache. Mehr Akzeptanz, mehr Bewusstsein für die Probleme depressiver Menschen kann Leben retten. Und wer mit Depressionen kämpft: Lass dir helfen. Ohne Hilfe ist der Kampf gegen die Krankheit kaum zu schaffen.

Über den Gastautor

Uwe Hauck ist Autor und Blogger. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Schwäbisch Hall. Nach einem Suizidversuch war Hauck im Jahr 2015 in insgesamt drei Kliniken, um seine schweren, wiederkehrenden Depressionen behandeln zu lassen. Über diese Zeit twitterte er unter dem Hashtag #ausderklapse und berichtete auf seinem Blog. Nun ist auch sein Buch „Depression abzugeben “ erschienen.

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Quelle: http://www.focus.de/gesundheit/experten/ein-betroffener-berichtet-depressionen-akzeptieren-erst-kurz-vor-dem-selbstmord-holte-er-sich-hilfe_id_6673111.html

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